Damit der Arzt nicht zum gefährlichsten Mann im Staat wird
Priener Klinikchef referierte in Halfing über Selbstbestimmung am Lebensende
Vor knapp 50 Zuhörern im Halfinger Pfarrheim ging Professor Dr. von Ritter, Chefarzt der Inneren und Ärztlicher Leiter des Priener Krankenhauses, von der Selbstbestimmung, wie sie in Art. 2 des Grundgesetzes garantiert ist, aus: Dieses Recht sei so grundlegend, dass er als Arzt keine Spritze setzen dürfe ohne die Einwilligung des Patienten. Der Arzt sei dem Patientenwillen verpflichtet. Könne dieser sich nicht mehr äußern, müsse der Arzt sich empathisch in die Lage des Patienten versetzen und eine eventuell vorhandene Patientenverfügung berücksichtigen.
Anders sei es zu bewerten, wenn der Patient einen Sterbewunsch äußert. Ein Sterbewunsch habe immer mit Verzweiflung, oft auch mit Isolation und Depression zu tun. Der Sterbewunsch ziele in Wirklichkeit auf eine Änderung des Lebens. Würde ein Arzt diesem Sterbewunsch des Patienten nachgeben, wäre das so, wie wenn man einen Alkoholiker auf dessen Wunsch mit Alkohol versorgen würde. Aufgabe des Arztes sei die Suizidprävention, nicht die Beihilfe dazu – dies sei seit jeher ärztliches Ethos, angefangen von Hippokrates bis hin zum Genfer Ärztegelöbnis von 1948.
Scharf kritisierte von Ritter die Aufassung, dass der Mensch mit dem Verlust seiner Selbstbestimmung auch seine Würde verliere. Wer mit diesem Argument für die aktive Sterbehilfe eintrete, unterscheide zwischen lebenswert und lebensunwert und verkenne, dass die Würde des Menschen grundlegender sei als seine Selbstbestimmung. Nicht von ungefähr sei im ersten Artikel des Grundgesetzes von der Würde des Menschen die Rede. Auch wenn ein Mensch nicht mehr selbstbestimmt leben könne, behalte er seine Würde. Andernfalls, so von Ritter, müsste man nicht nur Sterbenden, sondern auch Ungeborenen, jedem Kranken, ja sogar Schlafenden die Würde absprechen.
Ängste vor einem unerträglichen Leiden wies von Ritter zurück: Er habe in seiner Klinik noch keinen erlebt, der vor Schmerzen geschrieen habe. Die moderne Medizin, insbesondere die Palliativmedizin und im Falle von Depressionen die psychische Therapie, machten es möglich, Leiden und Ängste effektiv zu therapieren. Um so unnötiger sei es, wenn ausgerechnet heutzutage der Ruf nach dem Arzt als Sterbehelfer ertöne.
Hinter solchen Forderungen stünden ökonomische Interessen. Wenn man den Wert des Menschen nur noch nach seiner Produktivität bemesse, dann sei es konsequent, dem Arzt die Rolle des Suizidhelfers zuzuspielen. Warnend zitierte von Ritter in diesem Zusammenhang den deutschen Arzt Christoph Hufeland: „Der Arzt soll und darf nichts anderes tun, als Leben erhalten; ob es ein Glück oder Unglück sei, ob es Wert habe oder nicht, dies geht ihn nichts an, und maßt er sich einmal an, diese Rücksicht mit in sein Geschäft aufzunehmen, so sind die Folgen unabsehbar, und der Arzt wird der gefährlichste Mensch im Staate."
Abschließend plädierte von Ritter für eine Sterbekunst im Sinne der mittelalterlichen Ars moriendi. Dazu gehöre auch das religiöse Moment. Es sei z.B. durch Studien belegt, dass bei Krebserkrankungen Patienten, die seelsorgerisch betreut würden, tendenziell eine deutlich bessere Prognose hätten. Die Ars moriendi nenne die „Harmonie der Seele“ und die „Gesundheit“ als das letzte Ziel des Sterbeprozesses, welches nur der erreicht, der loslassen kann. Von Ritter verdeutlichte dies am Beispiel eines Patienten, der nach einem langen Krankheitsverlauf auf die Diagnose „Krebs im Endstadium“ mit verblüffender Heiterkeit reagierte. Auf die überraschte Nachfrage des Arztes erklärte er, er habe sich vor kurzem mit seinem Sohn versöhnt und sich bereits ein schönes Grabkreuz ausgesucht. Außerdem freue er sich darauf, an den kommenden Abenden einen guten Rotwein zu trinken.
Das überwiegend ältere Publikum dankte dem Referenten, dem das Thema so sehr am Herzen liegt, dass er auf ein Honorar verzichtete, seinen anschaulichen und lebendigen Vortrag mit kräftigem Applaus.
[ Martin Alt ]